Das letzte Treffen des Schwabinger Ärztezirkels am 18.09.2014 im Restaurant „Alta Marea“ befasste sich mit dem Thema der Vorfußdeformitäten, ihrer Diagnostik und Therapie.
Im Rahmen einer langen Diskussion wurden zusätzliche Fragen der Einlagenversorgung im Sinne von biomechanischen Einlagen oder Reflexeinlagen erörtert.
Das Referat beim Schwabinger Ärztezirkels wurde von Dr. med. Peter J. Kaisser gehalten:
Es wurden die häufigsten Vorfußdeformitäten in Form des Knick-Senk-Spreizfußes, des Plattfußes, des Hallux valgus und Digitus interphalangeus, sowie der Hammer- und Krallenzehen erörtert. Darüber hinaus spielt auch der Digitus quintus varus (Schneider`s Bunion) bei der Schmerzursache eine nicht unerhebliche Rolle – wird jedoch meistens in Kombination mit anderen Vorfußdeformitäten gesehen.
Die Ursache der Vorfußdeformitäten liegt häufig in einer kongenitalen, genetisch bedingten Veranlagung bei gleichzeitig bestehendem weichem und lockerem Bindegewebe mit hypermobilen Gelenken. Darüber hinaus spielen natürlich Fehlbelastungen und Überlastungen bei Sportlern oder adipösen Patienten eine große Rolle. Auch modisches Schuhwerk mit spitzem vorderem Zulauf und hohen Absätzen bzw. entsprechend geformten Nylonstrümpfen spielen hier eine Rolle. Sportliche Überlastung (z.B. Balletttanz) kann ebenfalls ursächlich von Bedeutung sein – hier spielt aber hauptsächlich die Abnutzung im Großzehengrundgelenk mit entsprechender Arthrosebildung im Vordergrund (bei Balletttänzern spielt sicher die mangelnde Muskelkraft keine Rolle! Im Gegenteil!) Aber auch Lähmungen, traumatische Verletzungen, Infektionen und Entzündungserkrankungen (Rheumatismus) können eine wesentliche Ursache für die Deformierungen am Vorfuß und ihre Schmerzsymptomatik darstellen.
Der Fuß, und insbesondere die Fußsohle, sind die Basis, auf der der Mensch geht. In diesem Falle gilt das umgekehrte Sprichwort: „Alles Gute kommt von unten“. Und es ist leicht einzusehen, dass auch der immer wieder zitierte Satz Gültigkeit hat: „Wenn es im Keller (in den Füßen) brennt, kann es auch im Dachstuhl (Halswirbelsäule/Kopf) nicht gemütlich zugehen…“
Was heißt das?: Zum einen muss die Basis, auf der wir gehen, stabil und in Balance, sowie ohne pathologische Veränderungen sein, so dass der restliche Körper, der von dieser Basis getragen wird, auch lot- und achsengerecht funktionieren kann. Zum Beispiel: ein einseitiger Knick-Senk-Fuß führt zu einer relativen Beinverkürzung und zu einer X-Beinstellung mit dem Ergebnis, dass das Becken in eine schiefe Position kommt. Damit entspringt auch die Wirbelsäule auf einer schiefen Ebene, so dass kompensatorisch eine Gegenkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose) entsteht. Diese führt zu unsymmetrischen und nichtausbalancierten Scherkräften bzw. Muskel- und Sehnenbelastungen, so dass dysfunktionelle Schmerzen in den entsprechenden Sehnen, Muskeln, Bändern und Gelenken entstehen. Dies setzt sich von der Lendenwirbelsäule über die Brustwirbelsäule, den knöchernen Wirbelsäulen-Rippenverbindungen bis hin zur Halswirbelsäule fort. Und an der Halswirbelsäule sind wiederum Muskeln und Bänder tätig in Koordination mit den entsprechenden Nervenfasern, die für die Stellung und die Funktion des Kopfes, des Innenohrs, der Kiefergelenke… verantwortlich sind. Daraus resultierende Schmerzen sind repräsentiert in Diagnosen wie dem HWS-Syndrom, der craniomandibuläre Dysfunktion, dem cervikogenen Kopfschmerz, dem Tinnitus, verschiedenen Formen des Schwindels und der Ohrengeräusche…
Gleichzeitig repräsentiert die Fußsohle sehr viele Funktionen unseres Organismus – nicht nur auf einer biomechanischen Basis, sondern vielmehr auf einer reflex-neurologischen Basis: Stellreflexe, Propriorezeption… Hierdurch wird nicht nur die Haltung des Skeletts und der Muskulatur beeinflusst, sondern auch viele Funktionen der inneren Organe – die heute jedoch nicht Thema der Abhandlung sein sollen.
Durch die biomechanischen Einlagen lässt sich die Fußform, der Abrollvorgang und die Beinachse korrigieren und verbessern – allerdings nicht im Sinne einer dauerhaften Heilung oder Verbesserung der pathologischen Anatomie, sondern vielmehr für die Dauer des Tragen der Einlagen reduzierte Zeitspanne. Nicht nur in diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass neben der passiven Korrektur durch biomechanische Einlagen gleichzeitig ein eigenständiges Muskeltraining der intrinsischen Muskulatur des Fußes stattfindet, um auch eine aktive Korrektur der unphysiologischen Gewölbeausprägung zu erwirken: die passive Korrektur soll durch ein aktives inneres Muskelkorsett dynamisch unterstützt werden, um die Fußstellung und damit auch die Fußfunktion in den normalen, physiologischen Bereich zurückzubringen. Und dies gelingt auch sehr häufig! Das Muskeltraining muss eigenständig von den Patienten – nach entsprechender Anleitung – durchgeführt werden.
Im Gegensatz hierzu versucht die Reflexeinlage neben dem Training der Fußmuskulatur und der Stellreflexe auch Einfluss zu nehmen auf zahlreiche Areale des gesamten Körperskeletts und des Bindegewebe-, Muskel-, Sehnen- und Bandapparates, was ebenfalls immer wieder zu überraschend positiven Ergebnissen und Beschwerdelinderung führt. Die Transformation der gereizten Fußareale (Reflexzonen) findet über verschiedene Fasern des vegetativen Nervensystems und der damit verbundenen Reflexschaltungen statt – und ist somit eine positive Ergänzung der rein biomechanischen Korrektur unseres Skeletts.
Im Rahmen der ausgiebigen Diskussion der Teilnehmer des Ärztezirkels wurde dahingehend ein Konsens entwickelt, dass häufig die Kombination aus normalen biomechanischen Einlagen mit zusätzlichen Reflexzonen je nach Ausmaß der Fußdeformität oder nach erfolgter operativer Vorfußkorrektur sehr hilfreich und nützlich sein kann (siehe unten).
Bei der Diagnose der Fußdeformitäten und zur Bestimmung des Ausmaßes der Deformität, spielen verschiedene Winkel, die an Belastungsröntgenaufnahmen des Fußes gemessen werden, eine wichtige Rolle: z.B. der Hallux-valgus-Winkel, der Intermetatarsalwinkel, der Winkel an der Gelenkfläche des Grundgelenkes der Großzehe, der Intermetatarsalindex (der die unterschiedliche Länge der Mittelfußknochen bzw. ihrer in der Belastungszone liegenden Köpfchen angibt) – und viele mehr…..
Neben der ausgiebigen klinischen Untersuchung, der Überprüfung der Beweglichkeit der Gelenke und der Stabilität / Instabilität des Bandapparates spielen die oben genannten Winkel zur Planung des operativen Vorgehens eine nicht unerhebliche Rolle. Sie entscheiden über die Wahl des Operationsverfahrens bzw. über deren Modifikation bezüglich Drehung und dreidimensionaler Stellung der zu korrigierenden Knochen.
Im Bereich der Großzehe unterscheiden sich die „hohen oder proximalen“ (also nahe am Zentralfuß gelegenen) Osteotomien von den „distalen“ Korrekturoperationen, die im Wesentlichen nur das Metatarsalköpfchen im Bereich seiner Belastungszone und die Stellung des Grundgelenkes der Großzehe beeinflussen. Das Ausmaß der Korrektur hängt auch von den Hebelarmen ab: je höher und zentraler die Osteotomie angelegt ist, umso besser kann natürlich in der Peripherie die Korrektur über den Hebelarm erfolgen!! Und je nach Schnittlegung ist auch die Länge der osteotomierten Flächen innerhalb des Knochens unterschiedlich groß, was für die Sicherheit der Knochenheilung eine große Rolle spielt.
Dr. Kaisser berichtet deshalb über die bevorzugte Scarf-Osteotomie – eine z-förmige Osteotomie des Metatarsale-1, die durch eine Lateralverschiebung eine Verschmälerung des Vorfußes erreichen kann und damit bereits eine gute Basis für die Korrektur der Stellung der Großzehe darstellt und dadurch eine Normalisierung des Abrollverfahrens im Fuß bewirken kann.
Wenn zusätzlich eine Abweichung der Großzehe besteht, kann diese mit einer zusätzlichen Akin-Osteotomie mit Aufrichtung der Zehe durch eine Keilentnahme in der Grundphalangs erreicht werden. Diese Osteotomie wird dann mit einer Kompressionsschraube oder einer Bi-Metall-Kompressionsklammer fixiert. Die Scarf- und Akin-Osteotomie benötigen ca. 4 Wochen zur Ausheilung. Dann ist meistens eine knöcherne Konsolidierung erreicht, so dass wieder voll belastet werden kann.
Alternative Operationen an der Großzehe sind die Operation nach Chevron, Austin, openwedge– und closingwedge- oder sogar Versteifungsoperationen im Bereich des Fußwurzel-Mittelfußgelenkes oder im Falle einer fortgeschrittenen Arthrose im Bereich des Großzehengrundgelenkes.
Bei sehr weit fortgeschrittener Arthrose im Großzehengrundgelenk bietet sich zum einen die oben dargelegte Versteifungsoperation an – eine andere Alternative ist die sogenannte Arthroplastik nach Keller-Brandes, die für 3 Wochen mit einem zentralen Kirschnerdraht fixiert wird. Ein Teil des Grundgelenkes wird reseziert. Es entsteht eine Art „Falschgelenk“, welches durch eingelagertes Bindegewebe aus der Gelenkschleimhaut und der Gelenkkapsel gefügig und beweglich gehalten wird und eine Art Platzhalter zwischen dem Mittelfußknochen und dem Großzehengrundgelenksknochen darstellt. Die Indikation für die beiden zuletzt geschilderten Operationen wird je nach Autoren und Operateuren etwas unterschiedlich in ihrer Wertigkeit und in ihrer Prognose beurteilt.
Die Implantation von künstlichen Großzehengrundgelenken wird wohl seit vielen Jahren immer wieder neu propagiert – die bislang auf dem Markt befindlichen Implantate / künstlichen Gelenke zeigen jedoch keine befriedigende Funktionalität und Haltbarkeit, wie wir dies bei Knie- und Hüftendoprothesen erfreulicherweise seit vielen Jahren beobachten können. Der Grund für die unbefriedigende Funktion und Haltbarkeit der Großzehengrundgelenksprothesen ist die Tatsache, dass diese Gelenke hauptsächlich mit Scherkräften belastet werden und nicht – wie das bei Hüft- und Kniegelenke der Fall ist – mit axialen Kräften. Die Scherkräfte führen zu einer vorzeitigen Lockerung der Implantate, die meist mit einer starken Resorption von Knochen einhergeht, so dass eine nachfolgende, sekundäre Versteifungsoperation wegen mangelnder Knochenmasse deutlich erschwert ist und häufig die Augmentation mit transplantiertem Knochen (z.B. aus dem Beckenkamm des Patienten) erforderlich macht.
Insgesamt wurde in der gemeinsamen Diskussion als summary konstatiert, dass die modernen Vorfußoperationen durchaus gute Ergebnisse haben. Wichtige Voraussetzung ist jedoch die richtige Indikation und eine sehr exakte und sorgsame Operationstechnik. Und insbesondere eine optimale postoperative Nachbehandlung. Darüber hinaus besteht die dringende Forderung an den Patienten, sowohl in der Nachbehandlung mit Mobilisation und Bandagierung der operierten Zehe wie auch in der späteren Phase bezüglich der vernünftigen und physiologischen Belastung der operierten Zehe, sehr gut mitzuarbeiten – die sogenannte Compliance des Patienten ist für ein gutes Operationsresultat dringend erforderlich.
Vorfußoperationen sollen nicht aus kosmetischen Gründen, sondern aus funktionellen und aus schmerzbedingten Gründen durchgeführt werden. Bei einer gelungenen Vorfußoperation ist davon auszugehen, dass die Schmerzen weniger werden, die Funktion besser – und sekundär dann auch kosmetisch eine Verbesserung im Vergleich zu der präoperativen Situation erreicht werden kann.
Über die Vorfußoperationen der Kleinzehe wird in einer gesonderten Abhandlung berichtet.
Dr. med. Peter J. Kaisser 01.10.2014