Bericht über den Kongress der Vereinigung der Süddeutschen Orthopäden und Unfallchirurgen vom 01.05. bis 03.05.2014 in Baden-Baden

Der diesjährige Orthopädenkongress wurde erstmalig von einer Präsidentin geführt, Frau Professor Andres Meurer aus Frankfurt. Es war ein erfolgreicher Kongress mit innovativen Themen. Eine hochinteressante Podiumsdiskussion wurde von Frau Professor Meurer initiiert: Karrierestrategien für Frauen in der Wirtschaft und in der Medizin. Hier nahmen 7 Frauen, alle in leitenden Funktionen in Industrie, Universität, Banken, Wirtschaftsministerium, Kliniken und Chefredaktionen teil. Geschuldet war diese Diskussion der Beobachtung, die wir neuerdings in der Medizin machen können: es gibt ca. 70% weibliche Studienanfängerinnen. Es gibt ca. 50% weibliche Assistenzärztinnen in den Kliniken – sogar in orthopädisch-unfallchirurgischen Abteilungen ist teilweise die Präsenz der weiblichen Assistenzärztinnen gleich groß oder größer als die der männlichen Kollegen.

Aber: in den Führungspositionen sieht dann die statistische Verteilung sehr schnell anders aus. Die Führungspositionen werden weiterhin dominant von den männlichen Kollegen übernommen. Im Gegensatz zur Medizin zeigen die Statistiken, dass in mittelständischen Unternehmen wenigstens ca. 25-30 % Frauen in der Führungsposition angekommen sind.

Teilweise hängt das entsprechend den Erfahrungen in der Industrie damit zusammen, dass Männer in ihrem Beruf „einfach offensiver“ sind. Sie verkaufen ihr Wissen wesentlich besser und selbstbewusster; Frauen trauen sich häufig trotz sehr großem Wissen und hoher Kompetenz wesentlich weniger zu – und äußern dies auch bei ihren Mitarbeitern und Vorgesetzten.

Die meisten Diskutanten waren der Meinung: „Man muss nur wollen“, „Man muss sich trauen“.

Die Mehrheit der anwesenden Diskutantinnen sprach sich gegen eine Quotenregelung aus, obgleich es heute noch immer so ist, dass bei der Bewerbung um Führungspositionen von 100 Bewerbern maximal 3 Frauen sind. Sie argumentierten mehrheitlich dahingehend, dass der Gleichberechtigung der Frauen im Beruf kein Gefallen getan wird, wenn Führungspositionen an Frauen wegen der Quotenregelung und nicht wegen einer eindeutig positiven Kompetenz vergeben werden.

Innerhalb der Medizin sahen die Diskutantinnen kein Problem, eine umschriebene Pause zur Betreuung der Kinder oder zur Pflege der Eltern einzulegen; jedoch dann muss die Arbeit wieder voll aufgenommen werden, um mit den Konkurrenten mithalten zu können.

Im Ländervergleich zeigt sich, dass diese Probleme in Deutschland wesentlich signifikanter zu Tage treten als in den USA, Frankreich oder in den skandinavischen Ländern. Deutschland schafft derzeit erst die Infrastruktur zur ganztägigen Versorgung von Kindern. Aber auch die Mentalität und das Bewusstsein der Eltern sind in Deutschland unterschiedlich zu den skandinavischen Ländern, wo die Ganztagsbetreuung der Kinder in Schule oder Hort wesentlich mehr gesellschaftliche Akzeptanz findet als in Deutschland. Weiterhin ist (historisch bedingt) ein gewisses Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland festzustellen.

Auch werden in Deutschland noch wenig „haushaltsnahe Leistungen“ als Dienstleistungen angeboten und von Ehepaaren mit Kindern und Doppelkarriere angenommen. Natürlich verschlingen solche Leistungen einen Teil des zusätzlichen Einkommens – viel mehr ist dies Ausdruck einer inneren Haltung oder gesellschaftlichen Einstellung.

Interessant war der Unterschied zwischen Männer und Frauen, wenn sie in die „Babypause“ gehen: Männer nutzen diese weniger für die Betreuung des Kindes und die gleichzeitige Freistellung der Frau, damit diese ihren beruflichen Anforderungen nachgehen kann. Männer nehmen 3 Monate frei, um in dieser Zeit Reisen mit der Familie zu machen, ihr Buch oder ihre Habilitation zu schreiben, oder anderen Hobbys nachzugehen…

Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass die jüngere Generation (Frauen und Männer gleichermaßen) eine andere Vorstellung von ihrem Leben haben – „work blance“. Das ausschließliche „Powern für den Beruf“ sei bei vielen dieser Generation nicht mehr gewünscht – diese stehen natürlich in Konkurrenz mit denjenigen, die weiterhin sehr zielstrebig ihre Karriere im Auge haben, vielleicht als Stellenwert Nr. 1 in ihrem Leben!

Und ebenso interessant ist festzustellen, dass die „Freiberuflichkeit“, Eigenständigkeit oder die Übernahme von Führungspositionen mit großer Verantwortung von vielen der jüngeren Generation nicht mehr gewünscht wird: viele suchen „die vermeintlich größere Sicherheit“ in einem Angestelltenverhältnis. Dies gilt für Frauen noch stärker als für Männer.

Eine ähnliche Erfahrung wird bei der Niederlassung von jungen Kolleginnen und Kollegen beobachtet. Viele begeben sich gerne unter das Schutzschild einer großen Gemeinschaftspraxis oder eines MVZ`s, wo sie im Angestelltenverhältnis ohne unternehmerische Verantwortung und Verpflichtung arbeiten können!!

Zeitlich definierter 8- Stunden-Tag ist erwünscht. Es wurde von den Diskutantinnen aber auch klargemacht, dass dies akzeptable Konzepte einer jüngeren Generationen sind – dass dann aber keine Anforderungen und Erwartungen an „echte Karrieren“ und „große Verdienste“ gestellt werden können!!!

Selbstkritisch fragten sich die Diskutantinnen: bin ich wirklich ein Vorbild für die heranwachsende Frauengeneration, bin ich als Klinikchefin attraktiv? Ohne Frisur! Ohne lackierte Fingernägel?

Es war eine sehr interessante und sehr faire Diskussion. Fertige Lösungen hatte niemand parat. Jedoch wurde auf breiter Basis dargelegt, dass bereits eine größere Akzeptanz in der Förderung von Frauen im Beruf bis hinein in die Führungspositionen gewährleistet ist. Wichtig erscheint, dass nicht unsere gesellschaftspolitischen Vorgaben für das Individuum entscheidend sind, sondern die individuelle Entscheidung jedes Einzelnen, wo diese(r) seine Schwerpunkte im Leben sieht. Und diese können – dafür braucht sich niemand zu genieren – auch im familiären Bereich liegen! Die Chancen werden – wie in anderen Lebensbereichen ebenfalls – nie absolut gleich sein; wir wollen jedoch den Weg versuchen, die Chancengleichheit, aber auch die Wahlfreiheit, so groß wie möglich zu gestalten.

Dr. med. Peter J. Kaisser