Bericht über den Kongress der Vereinigung der Süddeutschen Orthopäden und Unfallchirurgen vom 01.05. bis 03.05.2014 in Baden-Baden

Der diesjährige Orthopädenkongress vom 01.05. bis 03.05.2014 (Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen e.V.) in Baden-Baden umfasste zahlreiche Themen neben den beiden Podiumsdiskussionen, die in gesonderten Artikeln dargelegt worden.  Es wurde von mir bereits in zahlreichen früheren Veröffentlichungen beschrieben, wie degenerative Wirbelsäulenerkrankungen heute therapeutische anzugehen sind. Dabei spielt die Frage der „Evidenz basierten“ therapeutischen Maßnahmen eine große Rolle, und in diesem Zusammenhang natürlich die nationalen Versorgungsleitlinien (NVL), die als Richtlinien, jedoch nicht als zwingende Verbindlichkeit, etabliert worden sind.

Die Referenten unterschieden sehr streng zwischen dem unspezifischen und spezifischen Rückenschmerz. Darüber hinaus wurde auch von den Referenten dargelegt, dass das in den Leitlinien geforderter „nihilistische Abwarten“ häufig nicht zum erwünschten raschen Erfolg führt, und darüber hinaus häufig den Erwartungen des Patienten nicht entspricht. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Patienten, die „soziale Kosten der Allgemeinheit“ sind, im Auge behaltend muss man sich als Therapeut darüber im Klaren sein, die Patienten möglichst schnell in einen schmerzarmen oder schmerzfreien Zustand zu versetzen. Damit verkürzt sich auch die Dauer der Arbeitsunsfähigkeit.

Ein weiteres Thema waren die wirbelsäulennahen Injektionen – insbesondere hier die Frage, inwieweit die Allgemeinkassen die zusätzliche Applikation von kleinsten Beimengungen an Kortison, was einer Wirkungsverstärkung entspricht, übernehmen. Es handelt sich um einen sogenannten Off-label-use  – und deshalb sind die Allgemeinkassen nicht bereit, diese Injektionen zu bezahlen.

Die zweite Frage stellte sich bezüglich der Applikationsart: diese Injektionen können unter bildgebender Hilfe (Bildwandler, NMR, CT) appliziert werden – dies stellt jedoch eine zusätzliche finanzielle und ggfs. auch Röntgenbelastung dar. Die meisten Orthopäden haben diese Injektionen aus der Schule von Professor Krämer / Universität Bochum so erlernt, dass sie auf Grund von bestimmten „Landmarks“ diese Injektionen zielgenau an der Wirbelsäule durchführen können, ohne dass hierfür zusätzlich Röntgenstrahlen und bildgebende Großgeräte benutzt werden müssen.

Aus Sicht der IGOST (Internationale Gesellschaft für orthopädische Schmerztherapie) – und dies deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung – sollten diese aufwendigen Verfahren nur dann eingesetzt werden, wenn auf Grund überdimensionaler Körperdicke, aber auf Grund von schwerwiegenden Deformieren an der Wirbelsäule eine zielgenaue Injektion nicht möglich ist – oder, falls mit kleinsten Mengen dieser Lokalanästhetika punktgenau die Ursache des Schmerzes an einer exakt definierten Stelle ausgeschaltet werden muss, z.B. zu diagnostischen Zwecken. Periduralinjektionen an der Lendenwirbelsäule bedürfen überhaupt keiner bildgebenden Hilfe. Hier gibt es die ebenfalls von Krämer propagierte Injektion zwischen den Dornfortsätzen – mit einem Loss-of-resistance nach Passage der großen Bänder an der Wirbelsäule, so dass anschließend das Gemisch aus Lokalanästhetikum und Kortison sicher in den Spinalkanal eingeträufelt werden kann, um dort die Entzündungshemmung und Abschwellung der weichteiligen Strukturen zu erwirken, wie dies z. B. bei Bandscheibenvorfällen oder Spinalstenosen erwünscht ist.

Interessanterweise haben sich bei den Wirbelsäulenoperationen ähnliche Ergebnisse bei Langzeituntersuchungen gezeigt, wie bei den Hüft- und Kniegelenksoperationen: die miniinvasiven Zugänge bzw. microchirurgischen Operationen führen zu keinem besseren Ergebnis als die herkömmlichen Ops – maximal ist der Heilungsverlauf in den ersten Tagen / Wochen nach der Operation etwas beschleunigt. Die Langzeitergebnisse sind exakt die gleichen. Nachteil der miniinvasiven Eingriffe kann aber eine manchmal sogar längere Operationszeit und gelegentliche sogar höhere Komplikationsrate sein.

(Auch bei der Frage der endoskopischen Spaltung des Karpaltunnels zeigt sich eine ähnliche Beobachtung: die perkutan endoskopische Karpaltunnelspaltung ergibt auf Dauer keine besseren Ergebnissen als die offen durchgeführten Karpaltunnelspaltungen. Die Lernkurve solcher Mini-Eingriffe ist lang. Die Ausbildung aufwendig. Man benötigt viele Fallzahlen und eine große Erfahrung: möglicherweise mit zusätzlichen Risiken während der Operation und während des Lernprozesses.)

Ähnliches wurde von der Kyphoplastie und der Vertebroplastie bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen berichtet: auch hier sind die ersten Tage und Wochen, die bei konservativer Behandlung der Patienten häufig noch sehr schmerzhaft sind, rasch und nachhaltig schmerzarm oder schmerzfrei – die langfristigen Untersuchungen ergeben dann, unabhängig von der Frage der Aufrichtung des komprimierten Wirbelkörpers, keine signifikanten Unterschiede in den Ergebnissen.

Viele Vorträge wurden über Knieendoprothetik und Hüftendoprothetik gehalten. Auch hierüber habe ich mehrfach berichtet. Entscheidend ist weiterhin, dass es bezüglich der Rotationseinstellung des Knieimplantates noch immer gewisse Unsicherheiten der zu wählenden „Landmarks“ gibt. Möglicherweise werden in Zukunft die Navigationshilfe oder die individuell zugerichteten Schnittblöcke von präoperativ durchgeführten Hüft-, Knie- und Sprunggelenks-CTs uns weiterbringen: Die Schnittblöcke werden individuell auf dem Boden von CTc gefertigt.

Eine interessante Sitzung erfolgte mit zwei Kapitänen der Lufthansa: Sicherheit im Cockpit und im OP. Hier wurde dargelegt, dass Checklisten und routinierte Sicherheitsabfrage eine große Hilfe zur Gewährleistung der „Sicherheit“ darstellten – jedoch längst nicht ausreichend sind. Die Sicherheitsstandards konnten in der Luftfahrt dadurch erhöht werden, dass neben Auswahl, Training, fachlicher und sozialer Kompetenz, eine „offene“ und gleichzeitig anonyme Bearbeitung von Fehlern, Komplikationen und Gefahrenmomenten erfolgt: Fehler werden nicht mit „Bestrafung“ geahndet, sondern sind Grundlage einer Strategieentwicklung, wie solche Fehler in der Zukunft vermieden werden können. Jeder Mitarbeiter der Airline, insbesondere natürlich die Flugkapitäne, sind angehalten, Fehler und Risiken bei einer absolut integren Vertrauensperson, die der Schweigepflicht unterzogen ist, zu melden. In einem persönlichen, die individuelle Person schützenden Gespräch wird dann Ursache, Verlauf und Konsequenz der fehlerhaften Handlung besprochen und in die zukünftigen Sicherheitschecks mit eingearbeitet. Jedem, der eine Selbstanzeige stellt, wird versichert, dass dies keinen Einfluss auf seine berufliche Karriere hat, also jede „punitive“ Konsequenz einer solchen Meldung ist ausgeschlossen. Ein interessanter – und offensichtlich gut funktionierender Denkansatz. Durch diese Maßnahmen ist der Sicherheitsstandard der „guten“ Fluglinien weltweit um einen nochmaligen Faktor „100“ erhöht worden. Im Durchschnitt gäbe es je zwei Millionen Flüge einen Unfall. Die Sicherheit kann durch derartige proaktive Maßnahmen deutlich verbessert werden.

Insgesamt war der Orthopädenkongress in Baden-Baden wieder sehr informativ, bestens organisiert und durch den erstmaligen Vorsitz einer Frau (Frau Professor Andrea Meurer) mit anderen Themen „on top“ bereichert: Ein wirklich erfolgreicher Kongress!!

Dr. med. Peter J. Kaisser