Vorfußdeformitäten, Diagnostik – konservative und operative Therapie

Wir haben früher als Schwerpunkte unserer orthopädischen und unfallchirurgischen Praxis über die Endoprothetik der Hüfte und des Kniegelenks berichtet, sowie über Wirbelsäulenerkrankungen. Um den Bogen zu schließen – nicht zuletzt auch im Sinne einer „ganzheitlichen Betrachtung“ – berichten wir heute über Vorfußdeformitäten.

Zitate wie „Das Übel beginnt meist ganz unten!“ oder „Wenn es im Keller brennt ist es im Dachstuhl auch nicht gemütlich!“ sollen darstellen, welch große Bedeutung die Füße für die Haltung und Funktion unseres restlichen Körpers haben. Die Stellung des Fußes bedient Veränderungen im gesamten Fußgewölbe und Veränderungen an Muskulatur und Sehnen des Fußes, so dass die Funktion nachhaltig beeinflusst wird. Dies gilt aber nicht nur für den Fuß, sondern auch für das Bein: z. B. führt ein Knick-Senk-Fuß reaktiv zu einer X-Beinstellung, und ein Hohlfuß zu einer O-Beinstellung mit entsprechender Verlagerung der Trageachsen im Bein und konsekutiv zu einer vermehrten Abnutzung im inneren oder äußerem Anteil des Kniegelenks. Diese Trageachsen sind von großer Bedeutung für die Abnutzung im Kniegelenk, die Arthroseentstehung, aber auch für die Implantation von künstlichen Kniegelenken – weil diese in der korrekten und physiologischen Tragachse implantiert werden müssen, um nicht einem erhöhten Verschleiß und einer erhöhten Lockerungsrate ausgesetzt zu sein.

Findet eine solche Knick-Fuß-Bildung nur einseitig statt, kommt es zu einer relativen Beinverkürzung in dem betreffenden Bein mit Schrägstellung des Beckens, konsekutiv zu einer skoliotischen Verbiegung der Wirbelsäule, die wiederum Einfluss auf die paravertebrale Muskulatur und insbesondere die Halswirbelsäulenmuskulatur hat: Dysfunktionen der Kiefergelenke, sowie Halswirbelsäulen – bedingte Kopfschmerzen sind vorprogrammiert (cervicogener Kopfschmerz, cranio-mandibuläre Dysfunktion).

Diese Zusammenhänge sind ein Beweis dafür, wie „ganzheitlich“ in der Medizin – auch in der operativen Medizin! – gedacht werden muss. Spezialistentum ist gut – aber nur, wenn trotzdem eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Organismus erfolgt!!

Zurück zum Fuß und seinen pathologischen Veränderungen:

  • Knicksenkspreizfuß
  • Plattfuß
  • Hallux valgus (Ballen)
  • Hallux rigidus (Großzehengrundgelenksarthrose mit Bewegungseinschränkung; z.B. bei Gicht)
  • Digitus interphalangeus (Krümmung der Großzehe nach außen)
  • Hammerzehe
  • Krallenzehe
  • Digitus quintus varus (Schneiderballen)
  • Metatarsalgie (Schmerzhaftigkeit der Mittelfußköpfchen im Ballenbereich)

Beim Hallux valgus (Ballen) handelt es sich um eine Achs-Abweichung des Muttelfussknochens nach innen und eine überkompensierende Abweichung der Großzehe nach außen.

Bei der Hammerzehe handelt es sich um eine Beugung im Mittel- und/oder Endgelenk der Zehe.

Bei der Krallenzehe besteht zusätzlich eine Überstreckung im Grundgelenk.

Die Folge: Druck der Zehe an der Schuhkappe oder am Fußbett mit Ausbildung von zusätzlicher Hornhaut: Clavus / pathologische Beschwielung / Hühnerauge

Jede Form von pathologischer Beschwielung ist Ausdruck einer Reaktion des Körpers auf eine Fehlbelastung und bietet somit wichtige diagnostische Hinweise auf die Fehlstellung der Knochen im Fußskelett.

Woher kommen die Vorfußdeformitäten? Sie sind häufig genetisch bedingt, „angeboren“ – dies ist jedoch extrem selten.

Genetisch ist aber häufig die Disposition für die Ausbildung von Vorfußdeformitäten im Laufe des Lebens: Gene sind also nicht nur für die phaenotypische Ausprägung und Formgebung des (in diesem Fall) Fußes verantwortlich, sondern vielmehr auch für seine zeitliche Entwicklung im Laufe des Lebens. Gene sind der „Antrieb der biologischen Uhr“.

Weitere Ursachen für die Vorfußdeformitäten sind Über- und Fehlbelastung: z.B. extremes Übergewicht, falsche Schuhwerk (High heels), extreme Sportarten….

Weitere Ursachen stellen Muskelschwäche, Bindegewebe- und Bänderschwäche, Lähmungen und nicht zuletzt auch Unfälle mit Veränderungen der Knochen und Weichteile dar.

Therapie:

Primär und speziell im Anfangsstadium oben genannter Veränderungen kann mit konservativen Maßnahmen viel erreicht werden: die Symptome lassen sich verbessern, die Progression der Fehlstellung wird unter Umständen verlangsamt – jedoch die eigentliche Erkrankung und Fehlstellung lässt sich durch konservative Maßnahmen nicht beseitigen oder heilen. Es handelt sich um eine rein symptomatische Therapie.

In Frage kommen:

  • Einlagen (äußere Stabilisation)
  • Fußmuskeltraining (innere Stabilisation)
  • Barfuß gehen auf weichen Böden und im Sand (sehr fraglich auf harten Böden?)
  • Optimales Schuhwerk mit entsprechender guter Fußbettung und Weichpolsterung der Sohle
  • Spangen, Schaumstoffkeile, Bandagen, …
  • Fussbäder, antientzündliche Medikamente, Injektionen…

Wenn diese konservativen Maßnahmen nicht mehr greifen, wenn andererseits eine starke Progression vorhanden ist, und wenn darüber hinaus eine progrediente Arthrosebildung in den betroffenen Gelenken droht, ist eine operative Behandlung indiziert. Hierbei handelt es sich normalerweise um knöcherne Umstellungsoperationen (Osteotomie). Ggfs. um Versteifungsoperationen – die wir jedoch, wenn irgend möglich, vermeiden: Versteifung bedeutet immer Funktionsbeeinträchtigung in dem betreffenden Gelenk und eine funktionelle kompensatorische Überbeanspruchung in den angrenzenden freien Gelenken. Versteifungsoperationen werden nicht immer knöchern fest, und auch die optimalen Winkel können nicht immer 100%ig eingehalten werden, so dass es sich bei solchen Operation um sehr „sensible“ Eingriffe handelt, bei denen nicht immer ein vollständig zufriedenstellendes Operationsergebnis erreicht werden kann. Trotzdem ist – unter der Voraussetzung einer engen und strengen Indikationsstellung! – eine Verbesserung der Symptomatik des Patienten häufig zu erreichen. Die Versteifungsoperation sollte aber nur durchgeführt werden, wenn keine Gelenk- und Bewegungserhaltende Operation möglich ist, die von uns immer – wenn möglich – bevorzugt werden.

Zusätzlich sind weichteilige Eingriffe mit den oben genannten knöchernen Eingriffen zu kombinieren: Sehnenverlängerungen, Sehnenverlagerungen, Kapselspaltungen und Kapselraffungen.

Fünfzig Prozent der guten Operationsergebnisse stellt die Operationstechnik dar mit wenig traumatisierenden Miniimplantaten – häufig aus gewebeverträglichem Titan!

Die restlichen Fünfzig Prozent bezüglich guter Operationsergebnisse sind jedoch durch die modernen postoperativen Nachbehandlungsmöglichkeiten gegeben:

  • Die Patienten erhalten keine Gipsimmobilisation mehr.
  • Es wird sofort nach der Operation ein vorfußentlastender Schuh getragen.
  • Sofortige Teil- oder sogar Vollbelastung möglich.
  • Sofortige Mobilisation der operierten Zehen (Krankengymnastik und Anleitung des Patienten zur eigenständigen Mobilisierungstherapie der Zehen).
  • Ggfs. Bandagierung der operierten Zehe und Lymphdrainage um die postoperative Schwellung so schnell wie möglich zu bekämpfen. Hierzu gehört auch eine Hochlagerung des Beins (höher als die Nasenspitze) und Eisbehandlung.
  • Antientzündliche Medikamente (Ibuprofen, Diclofenac sind primär antientzündliche Medikamente, keine Schmerzmittel!!)
  • Großzügige Gabe von Schmerzmittel, wie Metamizol, Novalgin … (je weniger Schmerzen der Patient hat, umso besser kann er bewegen)
  • Thromboseprophylaxe (z.B. subkutane Heparin-Injektionen oder orale Tabletten)

Für den Hallux valgus und den Digitus interphalangeus bevorzugen wir die Scarf– und Akin-Operation. (Akin-Operation: Keilentnahme aus der Grundphalangs der Innenseite der Großzehe. Durch Zuklappen des Keiles findet eine Aufrichtung und Geradestellung der Großzehe statt).

(Scarf-Operation: hier wird der Mittelfußknochen der Großzehe durchtrennt, so dass die Lauffläche und das Mittelfußköpfchen nach außen geschoben werden kann. Hierbei kommt es zu einer Entlastung der Weichteile und der Kapsel des Großzehengrundgelenkes kann. Der Vorfuss wird verschmälert mit dem Effekt einer Aufrichtung und Geradestellung des Mittelfußknochens und der Großzehe.)

Für die Hammer- und Krallenzehen bevorzugen wir die OP nach Hohmann und / oder nach Weil – falls nötig mit gleichzeitiger relativer Verlängerung der Strecksehnen.

(OP nach Hohmann: hier wird meist am Mittelgelenk der Zehe das Köpfchen auf ca. 4 mm Länge reseziert und anschließend mit einem axialen Draht für 2-3 Wochen fixiert. Die Knochenresektion bedingt, dass in der Weichteilhülle der operierten Zehen wieder mehr Platz entsteht, so dass sich der Knochen gerade ausrichten kann.)

(Weil-Osteotomie: hier handelt es sich um eine schräge Durchtrennung des Mittelfußknochens hinter dem Mittelfußköpfchen, so dass dieses nach hinten im Sinne einer Verkürzung verschoben werden kann und mit einer kleinen Titan-Schraube (Twist-off-Schraube) fixiert wird.)

Bei der so genannten Metatarsalgie bevorzugen wir ebenfalls die Weil-Osteotomie meist an 2-3 Mittelfußköpfchen (siehe oben).

Beim Digitus quintus varus (Schneiderballen) wird möglichst nur der Schleimbeutel und die knöcherne Vorwölbung am Mittelfußköpfchen 5 auf der Außenseite entfernt. Möglicherweise muss aber auch hier eine knöcherne Verschiebetechnik mit Durchtrennung des Mittelfußknochens erfolgen – ähnlich wie an der Großzehe, nur in gegenteiliger Richtung.

Die Großzehengrundgelenksarthrose (Hallux rigidus, starke Bewegungseinschränkung wegen arthrotischer Veränderungen, nicht selten auch bei Gicht-Patienten) kann entweder versteift werden oder mit einer so genannten Resektionsarthroplastik (Keller / Brandes) behandelt werden: hier handelt es sich um eine Glättung des Mittelfußköpfchens und einer (meist schrägen) Teilresektion der Grundphalang der Großzehe. Es soll hier bewusst ein „Falschgelenk“ erzeugt werden: in den freien Raum des resezierten Knochens soll Bindegewebe einwachsen. Für 2-3 Wochen wird auch diese Zehe mit einem axialen Draht fixiert, der nach dieser Zeit einfach und ohne zusätzliche Maßnahmen ambulant gezogen werden kann (genauso wie bei den Fixationsdrähten der Hohmann`schen Operation).

(Bezüglich der Frage der Versteifung des Großzehengrundgelenkes: siehe oben).

Es bleibt darauf hinzuweisen, dass es über 40 verschiedene Operationen zur Behandlung der Vorfußdeformitäten gibt – wir haben hier eine Selektion von Operationen dargestellt, die in unserer Praxis am häufigsten durchgeführt werden. Es wird ein begrenztes Spektrum von Erkrankungen und Deformitäten des Vorfußes dargestellt;  deren konservative und operative Behandlung stellen nur einen Ausschnitt aus einem großen Pool von zahlreichen Therapiemethoden dar.

Dr. med. Peter J. Kaisser