Orthopädische Schmerztherapie – gezielte Injektionen an und in die Wirbelsäule (paravertebral/epidural)

Eine große Bedeutung haben seit vielen Jahren die Injektionen an und in die Wirbelsäule erreicht, ausgehend von den richtungsgebenden Arbeiten von Professor Dr. Jürgen Krämer in Bochum und seiner Arbeitsgruppe. Auch der Referent Dr. med. Peter J. Kaisser hat sich seit Anfang der 80iger Jahre zusammen mit dieser Arbeitsgruppe intensiv um die Entwicklung der Rückenschulen und die lokale schmerztherapeutische Behandlung an der Wirbelsäule gekümmert – nicht zuletzt unter dem Aspekt, die Häufigkeit von Operationen an der Wirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen und spinalen Einengungen sowie anderen degenerativen Veränderungen signifikant zu reduzieren. Das Ergebnis der Bemühungen dieser „Pioniere der orthopädischen Schmerztherapie“ war die Tatsache, dass die Wirbelsäulenschmerzen bei Patienten mit Bandscheibenvorfällen, Spinalstenosen oder degenerativen Erkrankungen zu 85% konservativ behandelt werden konnten – und nur 5% der Patienten letztendlich einer Operation unterzogen werden mussten!

Entgegen der Verlautbarung in der Presse, Rundfunk und Fernsehen, sowie einiger regelmäßig in Presse und TV präsenten Ärzte muss gesagt werden, dass bereits in der damaligen Zeit operative Verfahren an der Wirbelsäule zurück gedrängt wurden zu Gunsten konservativer Behandlungen – und das mit großem Erfolg! 

Viele derer, die die Operationsvermeidungsstrategien heute lautstark in der Öffentlichkeit vertreten, verursachen mit ihren eigenen „miniinvasiven“ Maßnahmen an der Wirbelsäule die Explosion von „Statistiken bezüglich Wirbelsäuleneingriffen“ selbst. Unter bildgebenden Verfahren, wie Röntgenbildwandler, Computertomographie oder Kernspintomographie werden gezielte lokale Einspritzungen durchgeführt, die in den Verschlüsselungscodes bereits als operative Eingriffe geführt werden und deshalb die statistischen Zahlen enorm in die Höhe treiben. Die orthopädische Schmerztherapiegesellschaft IGOST vertritt gemeinsam mit dem BVOU (Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie) die von mir und Professor Krämer seit langem propagierte Meinung, dass auch ein zuviel an durch bildgebende Verfahren gesteuerte Injektionstherapien unnötig und ggfs. sogar gesundheitsschädlich sein können! Die Bildgebung ist in den allermeisten Routinefällen nicht notwendig! Die bildgebenden Verfahren mit Computertomographie und Röntgenbildwandler stellen eine enorme Strahlenbelastung für Patient (und behandelnden Arzt) dar und sollten aus diesem Grund nur unter strengster Indikation eingesetzt werden.

Hinzu kommt, dass der Einsatz dieser bildgebenden Verfahren zusätzliche Kosten kreiert, die unnötigerweise das Finanzbudget der Krankenkassen belasten. Und häufig werden diese Patienten stationär für derartige Behandlungen aufgenommen, was letztlich noch mehr (wiederum unnötige!) Kosten für das Gesundheitswesen bedeuten.

Wie lässt sich die orthopädische Schmerztherapie einfacher durchführen:

Krämer et al. richtete sich an anatomischen Landmarken aus, die von dem erfahrenen Arzt durch die Haut zu tasten sind. Dies sind die Eintrittspunkte für die Injektionen, die dann unter bestimmten Richtlinien zielsicher und ausreichend genau an die entsprechenden Orte des pathologischen Geschehens gesetzt werden. So können mit ausreichender Zielgenauigkeit Injektionen in den Wirbelkanal (Periduralinjektionen), Facettinfiltrationen (Zwischenwirbelgelenke) und Wurzelblockaden (Nervenwurzeln, die aus der Wirbelsäule heraus in die Peripherie der Arme und Beine führen) durchgeführt werden. Ähnlich sieht dies bei Blockaden der vegetativen Nerven (Sympathicus) aus. 

Wir haben vor vielen Jahren in eigenen Studien die Zielgenauigkeit dieser Injektionstechniken untersucht, indem wir zuerst die Nadeln nach oben genannter Gesetzmäßigkeit gesetzt haben, um dann ihre Positionierung im Röntgenbildwandler anzuschauen: bei ausreichender Erfahrung des Behandlers konnte eine überraschend gute Genauigkeit des therapeutisch gewünschten Zielortes erreicht werden – und die entsprechende Wirksamkeit dieser Injektion gesichert werden.

In einem neuen Artikel der IGOST (gemeinsam mit dem BVOU – Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten / Juni 2013) wird über eine Arbeitsgruppe berichtet, die sich mit der Zielgenauigkeit und Effektivität der periradikulären Therapie (PRT) an der Wirbelsäule beschäftigt. Hier geht es um die nicht computertomographisch (CT)-gestützte und nicht strahlenbelastende Anwendungsform dieser Injektionen. Als Vorteile dieser Injektionstechnik werden genannt: schnelle Hilfe für den Patienten ohne technischen Aufwand mit der Folge geringerer Arbeitsausfalltage und unter Vermeidung von zusätzlicher Strahlenbelastung. Locker formuliert schreibt die Arbeitsgruppe: „Injektionen mittels anatomisch-palpatorischer Landmarken, statt GPS – denn wer sich in der Großstadt auskennt, braucht keine Navigation“. 

Dies ist die preisgünstigste Form dieser Injektionstherapie – aber paradoxerweise werden die mit zusätzlicher Bildgebung durchgeführten Injektionen von den Kostenträgern zunehmend beworben; Kostenträger die sonst permanent über nicht ausreichende finanzielle Mittel in ihren Kassen klagen.

Die unter Bildgebung gezielten Injektionstherapien bleiben solchen Patienten vorbehalten, bei denen z. B. auf Grund einer extremen Adipositas die Landmarken nicht ausreichend sicher zu tasten sind. Oder bei Patienten, bei denen es sich um eine diagnostische Injektion handelt, bei der gesichert sein muss, dass das Schmerzmittel 100%ig und ausschließlich an einem streng definierten Areal zur Wirkung kommt, um die Richtigkeit der gestellten Diagnose und den korrekten Ort der Schmerzursache zu bestätigen.

In diesem Zusammenhang ist es als richtig anzusehen, dass es seit 01. April 2013 eine neue Regelung gibt, dass die Indikation der von bildgebenden Verfahren gestützten Injektionen nur von Ärzten, die zur Schmerztherapie zugelassen sind, gestellt werden kann. Die IGOST ist der Meinung, dass „der FA für Orthopädie und Unfallchirurgie weiterhin die erste Adresse für Patienten mit Rückenschmerzen darstellt. Unter Einbeziehung anatomischer Landmarken hat er in seiner 6-jährigen Ausbildung Injektionstechniken ohne Strahlenbelastung erlernt und beherrscht diese. Man kommt also auch ohne GPS zum Ziel, wenn man Ortskundig ist – nur muss man die Karte lesen können! Es geht auch ohne Strahlung!“ 

Ein weiterer Aspekt spielt seit Beginn 2013 eine große Rolle: Off-Label-Use. Um die Effektivität der Injektionen zu erhöhen, wird normalerweise einem Lokalanästhetikum eine geringe Dosierung an Kortison (abschwellend, entzündungshemmend) beigemischt. Für diese Zusammensetzung wurde von der pharmazeutischen Industrie bezüglich der Anwendung an der Wirbelsäule keine gesonderte Zulassung beantragt, so dass die Allgemeinkassen diese Injektionen (noch nicht!?) finanziell vergüten. So entsteht die groteske Situation – und das in einer Zeit, wo im Gesundheitswesen gespart werden muss, wie noch nie zuvor! – dass diese Injektionen, stationär unter Kontrolle bildgebender Verfahren durchgeführt, von der Allgemeinkasse übernommen werden! Das ist ein Widerspruch „per se“! Aber: das ist ein Teil unseres „kostenbewussten Gesundheitssystems“, welches vor lauter Sparsamkeit das Geld an der falschen Stelle ausgibt.

Dr. med. Peter J. Kaisser