Diagnostik – konservativ / operative Therapie
Nach meiner Facharztausbildung in München und Augsburg war ich für 2 1/4 Jahre in New York an den beiden großen Universitätskliniken: Columbia University, (Presbyterian Medical Center) und Cornell University (Hospital for Special Surgery). Ich hatte damals, in den Jahren 1980 bis 1983 Gelegenheit, mit den Pionieren der neu entdeckten Erkrankung „Spinalstenose“ zusammen zuarbeiten. Dies war eine internationale Gruppe: Prof. Kirkaldy-Willis (Kanada), Prof. Nachemson (Skandinavien) und Prof. Hugo Keim (New York). Zur damaligen Zeit war die Behandlung der Spinalstenose eine primär operative: es wurden weite großzügige Dekompressionen mit sofort anschließender Wirbelsäulenversteifung durchgeführt. Ich konnte bis zum heutigen Tag die weitere Entwicklung der Behandlung der Spinalstenosen verfolgen und teilweise auch mit beeinflussen: die konservative Therapie im Sinne der orthopädischen Schmerztherapie mit Periduralinjektionen, Wurzelblockaden, Facettinfiltrationen usw. ermöglichen, dass heute nur ca. 5% der Spinalstenosen operativ behandelt werden müssen. Und diese Operationen sind wesentlich schonender, weniger traumatisch, mit schneller Rehabilitation des Patienten, und meistens ohne Versteifung möglich. Also ein deutlicher Qualitätssprung!
Was ist die Spinalstenose:
Anatomisch besteht eine Verengung des zentralen Wirbelsäulenkanals, oder des knöchernen Nervenkanals, der zu den Zwischenwirbellöchern führt bzw. das Zwischenwirbelloch selbst betrifft! Diese Verengung kann angeboren oder auch im Laufe des Lebens erworben sein. Dies ist meist im Rahmen einer degenerativen Veränderung der Wirbelsäule mit Sinterung des Bandscheibenraumes, arthrotischen Veränderungen an den Zwischenwirbelgelenken, einer Stauchung und Hypertrophie der zwischen den Wirbelkörper gelegenen Bänder zu sehen. Darüber hinaus gibt es degenerativ bedingte Gleitvorgänge der Bewegungssegmente an der Wirbelsäule, Narbenbildungen im Wirbelkanal, so z. B. nach Operationen oder sogar bei Bandscheibenvorfällen – auch hier meistens eine Mischform verschiedener Ursachen.
Ich konnte zusammen mit Prof. Keim in New York damals nachweisen, dass 30% aller Bandscheibenvorfälle mit einer „spinalen Enge“ vergesellschaftet sind. Warum: sie haben großteils eine gemeinsame Pathogenese/Ursache.
Symptomatik der Spinalstenose:
Die Schmerzen an Wirbelsäule und Bein sind eher diffus. Es tritt eine diffuse Müdigkeit, Schwäche, Gefühlsstörung im Bein auf, gelegentlich besteht sogar eine Fallneigung. Typisch: Schmerzerleichterung bei Vorwärtsbeugen (Bergauf gehen, auf dem Tisch abstützen). Schmerzverschlechterung bei Hohlkreuzhaltung (z.B. Bergab gehen, über Kopf arbeiten, High heels tragen). Das ist „pathogonomisch“, also typisch für die spinale Enge – muss aber trotzdem als Symptom nicht immer vorhanden sein.
Die Symptomatik unterscheidet sich dahingehend vom typischen, klassischen Bandscheibenvorfall, bei dem es sich eher um einen scharf umschriebenen Schmerz handelt, der ins Bein ausstrahlt, bestimmte Kennmuskeln und Kenndermatome befallen sind und ganz typische Reflexe ausfallen. Es handelt sich hier nicht um eine diffuse Schwäche und Müdigkeit, sondern, falls neurologische Ausfallerscheinungen vorhanden sind, um umschriebene Lähmungen bis hin zur Blasen- und Mastdarmlähmung.
Nota bene: Beim Bandscheibenvorfall ist normalerweise nur eine Nervenwurzel betroffen, während bei der Spinalstenose eine Nervenwurzel auf mehreren Etagen irritiert werden kann, oder eine einzige Etage auch mehrer Nervenwurzel gleichzeitig irritieren kann. (Ausnahmen bestätigen die Regel!)
Für die differentialdiagnostische Abklärung werden neurologische Untersuchungsmethoden eingesetzt: EMG, NLG, SSEP (Elektromyographie, Nervenleitgeschwindigkeit, Somato-sensorisch-evozierte-Potenziale).
Differentialdiagnostisch in Erwägung zu ziehen sind folgende Krankheiten: Polyneuropathie, Restless Legs Syndrom, Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit), Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Raumfordernde Prozesse im Spinalkanal wie Tumore, Zysten, Bandscheibenvorfälle, Infekte.
Die Symptomatik einer lumbalen spinalen Enge kann aber auch durch eine Enge des Halswirbelsäulenkanals vorgetäuscht werden, was differentialdiagnostisch schwer zu erkennen ist.
Konservative Therapie:
Haltungsverbesserung und delordosierende Krankengymnastik, um den Patienten aus seiner Hohlkreuzhaltung herauszuführen: Kontrolle der Bauch-, Rücken- und Gesäßmuskulatur. Körpergewichtsreduktion. Keine hohen Absätze. Erlernen von Übungen zur Verbesserung der Haltung (kein Hohlkreuz!). Verbesserung der Stabilität der Wirbelsegmente und Kräftigung der Muskulatur (isometrische Spannungsübungen) sind notwendig.
Antientzündliche Medikamente, wie z. B. Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen, Cortison, Arcoxia….
Neurotrope Vitamine (Vitamin B, Keltikan forte, Folsäure, Uridin-Monophosphat….)
Wirbelsäulennahe Injektionen in den Wirbelkanal, an die Zwischenwirbellöcher, sowie an die Facettgelenke und an die aus der Wirbelsäule austretenden Nervenwurzeln mit ebenfalls schmerzlindernden, antientzündlichen und abschwellenden Medikamenten.
Da es sich bei den Patienten mit Spinalstenose häufig um chronisch schmerzkranke Patienten handelt, ist häufig ein sogenanntes „multimodales Schmerztherapiekonzept“ notwendig, welches interdisziplinäre Maßnahmen inklusive psychosomatischer Behandlung, Antidepressiva, ggfs. sogar Opiodgabe mit einschließt. Viele dieser Patientin stellen wir in unserer „interdisziplinären Schmerzkonferenz“ vor, in der Kollegen verschiedenster Fachrichtungen anwesend sind, die sich schwerpunktmäßig mit der Behandlung von chronischen Schmerzen beschäftigen.
In seltenen Fällen (Notfallsituation mit ausgeprägter Lähmung, Nichtbesserung der Beschwerden trotz ausgeprägter konservativer Therapie) wird eine operative Therapie notwendig. Diese Operationen sind heute weit weniger traumatisierend, als in den 80iger Jahren, wie oben für USA beschrieben:
Zwischen den Bogengängen der Wirbelkörper wird von dorsal ein kleiner Zugang zum Wirbelkanal geschaffen, und von dort wird dann der zentrale Wirbelkanal und der nach außen führende Nervenkanal (Rezessus lateralis) durch eine vorsichtige wenig traumatisierende Technik mit kleinen Stanzen und Zängchen so erweitert, dass das zentrale Nervensystem mit seinen Nervenwurzeln wieder ausreichend Platz findet. Dadurch tritt normalerweise keine Destabilisierung der Wirbelsäule ein. Deshalb ist auch – wie das in früheren Jahren der Fall war – keine gleichzeitige Versteifungsoperation der Wirbelsäule mehr notwendig. Zur gleichzeitigen Straffung des Bandapparates, Entlastung der Zwischenwirbelgelenke, Reduzierung des Hohlkreuzes und zur Erweiterung des Rezessus lateralis, sowie des Zwischenwirbelloches (Foramen intervertebrale) kann gleichzeitig ein Spreitzer (X-Stop) zwischen die Dornfortsätze der Lendenwirbelsäule gesetzt werden.
(Ich lade Sie ein, gehen Sie auf unsere web-site und schauen Sie sich den dort für Sie installierten Videoclip zu Ihren besseren Verständnis an: www.dr-laisser.de /leistungsspektrum/orthopädische Erkrankungen/X-Stop/Animation oder www.dr-kaisser.de/Aktuelles/X-Stop (Animation)
X-Stop ist die Abkürzung für „Extension-Stop“: das heißt eine Verhinderung der Hyperlordose, des Hohlkreuzes. Möglicherweise ist dies sogar der Haupteffekt, weniger die Delordosierung und Öffnung der Wirbelsäule im Rezessus und Interforaminalbereich. Vielleicht steht im Vordergrund auch mehr die Entlastung der Zwischenwirbelgelenke und der Bandscheibe, die zwischen den Wirbelkörpern liegt. Vielleicht tritt eine relative Straffung des Bandscheibenapparates auf (Ligamentotaxis), die möglicherweise einen Beitrag zur Stabilisierung des Bewegungssegmentes „ Wirbelkörper-Bandscheibe-Wirbelkörper“ leistet.
In einer Nachuntersuchungsstudie über 6 Jahre hinweg konnten wir feststellen, dass die Operationsergebnisse „Dekompression plus X-Stop Implantation“ tendenziell deutlich besser sind, als die alleinige Implantation eines X-Stop-Implantates. Wir bevorzugen – im Gegensatz zu anderen Spreitzern – die Implantation eines X-Stop-Implantates, da hierbei das interspinöse Band nur perforiert, aber nicht entfernt werden muss. Für den Fall einer späteren Entfernung des X-Stop-Implantates ist somit der Bandapparat zwischen den Dornfortsätzen anatomisch noch im Wesentlichen erhalten und intakt. Es gibt viele andere interspinöse Spreitzer, bei denen aber die Entfernung des Ligamentum interspinale irreversibel notwendig ist.
Wie bei jeder Operation kann es theoretisch natürlich auch Komplikationen geben. Diese sind ausgesprochen selten und waren – zumindest bei unseren Patienten – eher von leichter Natur. Sollte das Implantat verrutschen oder Beschwerden machen, kann es jederzeit durch eine relativ kleine Operation wieder entfernt werden. Einer eventuellen später doch notwendig werdenden Versteifungsoperation als endgültige Rückzugsmöglichkeit steht nichts im Wege.
Zu beachten ist bei diesen Operationen, dass der Patient mit Spinalstenose seine Veränderungen häufig auf vielen Etagen hat, die operative Versorgung aber meistens nur auf einer (bis max. drei!) Etagen stattfinden kann: d.h. es besteht die Möglichkeit von persistierenden Schmerzen aus den nicht behandelten Segmenten, deren degenerativer Prozess auch weiter fortschreiten kann. Möglicherweise werden in diesem Segment zu einem späteren Zeitpunkt weitere konservative oder auch operative Maßnahmen notwendig werden.
Dr. med. Peter J. Kaisser