Titel: Moderne wenig – invasive Orthopädie und Unfallchirurgie – Besser? – Bezahlbar?

Kurzer Hinweis des Referenten auf seine Vita: Facharztausbildung in München, weitere Ausbildung an Columbia University und Cornell University in New York, anschließend siebenjährige operative Tätigkeit als Oberarzt am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Seit 1991 orthopädische Praxis/ Belegarzt/ stationäre und ambulante Operationen in der Sanaklinik, am Schwabinger Krankenhaus, an dem ambulanten Operationszentrum Tagesklinik Nord.

Neben der Darstellung modernster mini-invasiver Operationsverfahren soll gleichzeitig ein gesellschaftskritischer Aspekt den Hintergrund beleuchten, welche Anforderungen heute an das Gesundheitssystem gestellt werden und die Frage erörtert werden, in wie weit diese Anforderungen auch finanzierbar sind.

Die gesellschaftliche Realität zeigt eine zunehmend längere Lebenserwartung, sowie die so genannte Alterspyramide. Eine erhöhte Aktivität ist bei den Jugendlichen und bei den Älteren zu verzeichnen: Alter bedeutet Polymorbidität – Aktivität bedeutet mehr (Sport) Verletzungen. Der fehlende Familienverbund lastet viele soziale Aufgaben der Gemeinschaft auf, die früher im Rahmen der Großfamilien übernommen wurden. München besteht aus über 40% Einzelhaushalten!

Was bietet die moderne Orthopädie und Unfallchirurgie: Schonende Operationsverfahren und schonende Anästhesieverfahren (wir erleben nur noch in extrem seltenen Fällen, dass ein Patient nicht operations- oder narkosefähig ist). Gewebeschonende Verfahren bedeuten eine kurze postoperative Immobilisation und eine rasche postoperative Rehabilitation.
Beispiel: früher war ein Patient nach Hüftprothesenoperation vier bis fünf Tage bettlägerig, für drei bis vier Wochen stationär in der Akutklinik, dann für weitere vier bis sechs Wochen in der Rehabilitationsklinik.
Heute steht der Patient noch am selben, spätestens am ersten postoperativen Tag auf, stationärer Aufenthalt zwischen acht und zehn Tagen in der Akutklinik und anschließend drei Wochen in der Rehaklinik. Die postoperative Behandlungsdauer hat sich also um etwa fünfzig Prozent zeitlich reduziert.

Was heißt „Less- invasive? Mini- invasiv? Less- traumatic?“
Hier gibt es keine exakte Definition. Insbesondere lassen sich diese Begriffe nicht über die Größe des Hautschnittes bei einer Operation definieren. Entscheidend ist die minimale Traumatisierung der Weichteile in der Tiefe. Inhaltlich soll mit diesen Begriffen ausgesagt werden: Wir wollen gewebeschonend operieren. Der Zugang soll so klein wie möglich, aber auch so groß wie nötig sein. Der Zugang erfolgt nicht transmuskulär, sondern intermuskulär – wir gehen also nicht durch die Muskulatur, sondern zwischen den einzelnen Muskelgruppen in die Tiefe. Und wo immer möglich bevorzugen wir das endoskopische Operieren. („Schlüssellochchirurgie“)

Es wird an zahlreichen Fallbeispielen wie Schulterfraktur, Handgelenksfraktur, Sprunggelenksfraktur und Vorfuss-Operationen… dargelegt, wie die heutigen Operationsmethoden und die dabei verwendeten Implantate zu einer Verbesserung der postoperativen Situation geführt haben, indem in den allermeisten Fällen keine Gipsruhigstellung mehr notwendig ist und die Patienten sofort mobilisiert werden können und meistens postoperativ volle Belastung, zumindest aber Teilbelastung möglich, ja sogar erwünscht ist. Dadurch lassen sich Komplikationen vermeiden oder zumindest verringern: Thrombosen, Embolien, Lungenentzündungen, Schrumpfen der Muskulatur und des Knochens, sowie Schwächung von Herz, Kreislauf und Atmung, was im besonderen Ausmaß Bedeutung für die älteren Patienten hat.

Am Beispiel der medialen Schenkelhalsfraktur – häufig bei osteoporotischen, älteren Patienten anzutreffen – war in früheren Zeiten ein längerer Bettaufenthalt zur Immobilisation notwendig, mit der Folge, dass viele ältere Patienten an dieser Erkrankung verstorben sind: Thrombose, Embolie, Lungenentzündung. Heute wird nach Möglichkeit innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden operiert: Ein spezieller Gleitnagel kann über Röntgen- Bildwandlerkontrolle und einen Hautschnitt von circa 5cm Länge eingebracht werden. Die andere Möglichkeit besteht in einer sofortigen Versorgung durch ein künstliches Hüftgelenk: In beiden Fällen kann der Patient sofort wieder aufstehen und mobilisiert werden. Seine körperliche Konstitution nimmt deshalb postoperativ nur geringgradig ab, sodass auf einem sehr hohen Niveau mit der Rehabilitation sofort wieder begonnen werden kann.
Die moderne Hüftgelenksendoprothetik erlaubt heute auch bei älteren Patienten eine zementfrei Implantation des künstlichen Gelenkes: Zement muss nicht mehr eingebracht werden, deshalb wird die Operationszeit deutlich verkürzt, Allergien und Kreislaufreaktionen werden dem Patienten erspart und bei einer späteren Wechseloperation ist das Knochen- Implantatlager wesentlich besser und hochwertiger, sodass auch hier das Komplikationsrisiko deutlich gemindert ist.

Ähnlich sieht die Situation bei Fehlstellungen und arthrotischen Veränderungen am Kniegelenk aus: Wo früher Umstellungsoperationen mit langer postoperativer Immobilisation notwendig waren, werden heute entweder winkelstabile Implantate eingebracht oder bei älteren Menschen wird sofort ein endoprothetischer Ersatz zur Korrektur der Achse, zur Wiederherstellung der vollen Beweglichkeit und zur Beseitigung der Instabilität des arthrotischen Gelenkes durchgeführt. Auch hier kann der Patient bereits am ersten postoperativen Tag das Bett verlassen und eine axiale Belastung ist sofort erlaubt.
Die modernen Kniegelenke / Schlittengelenke sind mit einem Rotationsinlay versehen, sodass der Patient wie bei seinem natürlichen Gelenk auch hier nicht nur Strecken und Beugen kann, sondern auch eine gewisse Rotationsfähigkeit besitzt.

Auch wird am Beispiel der Arthroskopien an Schulter- und Kniegelenk dargelegt, wie durch „Schlüssellocheingriffe“ über ein circa bleistiftdünnes Endoskop Meniskusrisse, Knorpelschäden, Knochenvorsprünge, entzündete Schleimbeutel entfernt werden können, ohne dass das Gelenke über eine längere Strecke eröffnet werden muss. Es findet eine kritische Bewertung der Kniegelenksarthroskopie bei Arthrosen statt. Die Folgen der arthroskopischen Kreuzbandoperation werden dargestellt und schematisch skizziert. Vor zwanzig Jahren wurden die Kreuzbänder noch mit einem offenen Hautschnitt von circa 15 cm Länge und einer anschließenden sechswöchigen Gipsimmobilisation behandelt. Heute werden nur noch kleine Schienen mit Gelenken angelegt, die bereits unmittelbar nach der Operation eine nicht unerhebliche Beweglichkeit erlauben. Die neueste Entwicklung der Kreuzbandchirurgie erlaubt sogar eine Nachbehandlung ohne Schiene: Langzeiterfahrungen liegen hier jedoch noch nicht vor. Deshalb: Cave!

Eine besonders interessante Entwicklung zeigt die Behandlung Osteoporose- und Metastasen bedingter Brüche der Wirbelkörper. Auch hier waren früher lange Immobilisationsphasen im Bett, ggf. Gips oder schweres Korsett erforderlich – häufig mit tödlichem Ausgang, wegen Komplikationen, wie wir sie bei den Schenkelhalsfrakturen gesehen haben: Thrombose, Embolie, Lungenentzündung… Es gab dann eine Phase der Stabilisierung dieser Brüche mittels Schrauben und Stangen, die durch große, ebenfalls risikoreiche Operationen eingebracht wurden. Heute bedient man sich der Ballonkyphoplastie: Ebenfalls ein perkutanes, mini-invasives Verfahren, bei dem unter Bildwandlerkontrolle zwei dünne Sonden (circa 5mm Durchmesser) in den Wirbelkörper eingebracht werden. Ein extrem hochwertiger Ballon richtet den zusammengesinterten und komprimierten Wirbelkörper wieder auf (Reposition). In die durch den Ballon geschaffene Knochenhöhle wird Zement eingedrückt, der innerhalb von fünfzehn Minuten aushärtet. Die Sonden werden entfernt. Die beiden Hauteinstiche – jeweils circa 1 cm groß – werden mit einer kleinen Einzelknopfnaht verschlossen. Steriler Pflasterverband. Nach der Narkose kann der Patient sofort wieder aufstehen – und mit größter Wahrscheinlichkeit sind die gesamten frakturbedingten Schmerzen sofort beseitigt. Eine Methode, die auch bei moribunden Patienten mit extrem schmerzhaften Wirbelkörpermetastasen angewandt werden kann – und somit eine drastische Verbesserung der Pflegesituation dieser Patienten darstellt.

Ein seit einigen Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnendes Krankheitsbild stellt die Einengung des Spinalkanals an der Wirbelsäule dar. Der Referent hatte bereits in den achtziger Jahren an Cornell und Columbia University in New York Gelegenheit über diese Krankheitsbilder wissenschaftlich zu arbeiten und viel praktische Erfahrung zu sammeln. Es hat relativ lange Zeit gebraucht, bis diese Krankheitsbilder auch in Europa und in Deutschland ausreichend Beachtung fanden.
Bei der Einengung des Wirbelkanals (Spinalstenose) kommt es – in den meisten Fällen im Rahmen einer Bandscheiben- und Wirbelsäulendegeneration – zu einer zunehmenden Sinterung der Wirbelsäulensegmente mit Überlastung der Zwischenwirbelgelenke und einer Verschmälerung der Austrittslöcher für die Nerven, die an der Halswirbelsäule in die Arme, an der Lendenwirbelsäule in die Beine gehen. Die überlasteten Zwischenwirbelgelenke verändern sich arthrotisch, was nicht unerhebliche Schmerzen veranlasst. Zusätzlich werden die aus der Wirbelsäule austretenden Nerven durch die zunehmende Verengung irritiert und gereizt, so dass es zu Gefühlsstörungen, Müdigkeit, motorischer Schwäche… in den Beinen (oder ggf. auch den Armen) kommt.
In früheren Jahren wurden hier große Operationen mit Entfernung des Knochens im Bereich des Wirbelkanals durchgeführt – häufig mit dem Ergebnis einer weiteren Destabilisierung des Wirbelsäulensegmentes, so dass dann gleichzeitig oder später eine wiederum aufwändige Versteifungsoperation mit relativ bescheidener Prognose und nicht wenigen Komplikationen durchgeführt werden musste.
Das heutige Vorgehen: Klein- invasive, knöcherne Dekompression zur Freilegung der Nervenwurzeln, ohne Gefährdung der Stabilität der Wirbelsäule und zusätzlich die Einbringung eines kleinen Spreizers, der die Wirbelkörper etwas auseinander drückt, die schmerzhaften Intervertebralgelenke entlastet, und zusätzlich Raum für die bedrängten Nervenwurzeln schafft. (Videoclip auf: www.dr-kaisser.de)

Eigene Nachuntersuchungsergebnisse über die letzten sechs Jahre (circa 100 Patienten wurden an 130 Wirbelsäulensegmenten operiert – 84 davon nachuntersucht) zeigen signifikante Verbesserung der Schmerzen, der Beeinträchtigung der Lebensqualität, der Kraft und Motorik, sowie Sensibilität in den Beinen. Die allermeisten Patienten sind mit der Operation sehr zufrieden. Die Komplikationsrate ist extrem niedrig, so dass dieser Eingriff durchaus auch älteren Patienten zuzumuten ist. Auch hier gilt die Devise: Nach der Operation kann der Patient am ersten postoperativen Tag aufstehen, er benötigt weder ein Mieder, noch ein Gipskorsett. Volle Belastung mit schonender Bewegung ist erlaubt.

Fazit: Auf Grund des schonenden operativen Vorgehens und der optimalen Implantate gibt es bei den modernen, wenig traumatisierenden Operationen auch im hohen Alter wenig Komplikationen. Sie verbessern auch für die alten Patienten die Lebensqualität, erreichen ggf. eine Pflegeerleichterung, erhöhen die Mobilität und die Eigenständigkeit – was gleichzusetzen ist mit der Verbesserung der Menschenwürde im höheren Lebensalter!

Da diese Eingriffe sehr schonend und sehr komplikationsarm sind, ergibt sich logischerweise eine Erweiterung der Indikationsstellung und gleichzeitig eine Erweiterung des Altersspektrums (nach oben und unten) für derartige Operationen.

Schonende Operationsverfahren führen zu kürzerer Krankheitsdauer, zu kürzerem Krankenhaus- Kuraufenthalt und können häufig ambulant anstatt stationär durchgeführt werden – alles Faktoren, die einen Kosten sparenden Effekt haben.

Aber es ist ein höherer technologischer Aufwand notwendig, höhere Material- und Implantatkosten sind erforderlich, teilweise erhöhte Personalkosten. Und die zunehmende Machbarkeit und erweiterte Indikationsstellung erhöhen logischerweise die Operationsfrequenzen! Und auch das muss gesehen werden: Die durch solche Operationen verlängerte Lebenserwartung erhöht natürlich die Zahl von polymorbiden Patienten (Kostenfaktor!) und ebenfalls die Anzahl der Operationen, die innerhalb eines individuellen Lebens durchgeführt werden müssen. Auch dies sind Kosten, die von dem Gesundheitssystem getragen werden müssen.

Und zum Abschluss noch eine enttäuschende Meldung: Prävention bedeutet nicht immer Kostenersparnis! Prävention soll Erkrankungen verhindern und soll Lebensqualität verbessern!

Aber: Prävention kostet Geld per se, Prävention entdeckt Krankheiten, die sonst unbehandelt geblieben wären. Prävention verlängert das Leben (im Idealfall!):
Prävention kann also sowohl Kosten ersparen – häufig aber auch Kosten generieren.

Wir wollen Prävention! Wir wollen moderne, gewebeschonende und Lebensqualität verbessernde, lebensverlängernde Operationen!

Aber: Weder durch Prävention noch durch mini- invasive Operationen ist die Kostenspirale im Gesundheitssystem in den Griff zu bekommen!

Dr. med. Peter J. Kaisser
FA für Orthopädie